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Reformationsstadt Rust

Österreich

Die Freistadt Rust am Neusiedlersee ist der kleinste Verwaltungsbezirk Österreichs mit etwa 1900 Einwohner*innen. Heute im Burgenland, dem östlichsten Bundesland, gelegen, reicht die Geschichte von Rust als Stadt weit in die Zeit zurück, als das Gebiet zu Ungarn gehörte. Auch die Reformationsgeschichte der Stadt, die mit dem Burgenland 1921 zu Österreich kam, ist demnach mit Ungarn verbunden.

Bereits seit 1521 war Rust Markt. Mit königlicher Urkunde von 1524 wurde dem Ruster Wein, der bis heute das wirtschaftliche Leben und Handelsleben der Stadt bestimmt, Markenrecht zuerkannt. In der (heute in Ungarn liegenden) nur 30 Kilometer entfernten Stadt Ödenburg/Sopron, mit der ständiger intensiver Handelsverkehr nachgewiesen ist, predigte bereits 1522 ein Franziskanermönch im lutherischen Sinne. Es ist daher davon auszugehen, dass auch in Rust schon bald nach 1517 reformatorisches Gedankengut bekannt war. Anders wäre nicht zu erklären, dass Rust zu Ende des 16. Jahrhunderts nahezu zur Gänze evangelisch war. Auch die Klage eines katholischen Pfarrers von Rust aus dem Jahr 1585, die Ruster würden zu fremden Seelsorgern „auslaufen“, deuten in diese Richtung. In dieser Phase der Geschichte ist in Rust ein politisch-wirtschaftlicher Hand in Hand mit einem geistlich-religiösen Aufbruch feststellbar.
Ein Mitgrund für die rasch sich durchsetzende Reformation in der Region, der das heutige Burgenland angehört, mag die Bedrohung von außen durch die „Türkengefahr“ gewesen sein, die die Aufmerksamkeit der Habsburger beanspruchte. Trotzdem wirkten auch in Rust, das im 17. Jahrhundert zur Grundherrschaft Ungarisch-Altenburg gehörte, gegenreformatorische Kräfte. Prediger wurden vertrieben, und das religiöse Leben hing von der Toleranz des jeweiligen Grundherrn ab. Nach 1649 kaufte sich Rust zwei Mal zwölf Jahre von der Grundherrschaft Ungarisch-Altenburg frei. 1647 hatte der Landtag den Bau einer evangelischen Kirche gestattet – die heutige römisch-katholische Stadtpfarrkirche. Freikauf und Kirchenbau sprechen für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ruster; auch ein Pfarrhaus und eine Schule wurden errichtet.

Es folgte eine Blütezeit, in der evangelische Pfarrer und Lehrer in Rust wirkten. Doch nach 1674 folgte im Zuge der Gegenreformation, die in Rust teils mit militärischer Gewalt einschritt, ein Jahrhundert ohne eigene Prediger und eigene Kirche. Dass das evangelische Leben nicht zum Erliegen kam, ist den Hausvätern zu verdanken, die private Andachten und Bibellese hielten, auch wenn man gezwungen war, für Kasualien den katholischen Pfarrer in Anspruch zu nehmen. Auch die Erhebung des Marktes Rust zur königlichen Freistadt 1681 (um einen hohen Guldenbetrag und tausende Eimer Wein, aufgebracht von grossteils evangelischen Bürgern) brachte zunächst die evangelische Kirche nicht zurück.

Dass die Bewerbung von Rust um den Titel „Reformationsstadt Europas“ gemeinsam von evangelischer und katholischer Pfarrgemeinde, gemeinsam mit der Stadtregierung, eingereicht wurde, hat trotz der Vorgeschichte eine lange Tradition. Schon vor dem Toleranzpatent Kaiser Josephs II. 1781 durften etwa evangelische Kinder die katholische Schule besuchen und auch evangelische Schriften lesen.

Der erste evangelische Pfarrer nach dem Toleranzpatent kam aus Ödenburg, 1785 wurde eine evangelisches Bethaus fertiggestellt. Die Ruster Protestanten nahmen wieder am öffentlichen Leben teil und füllten zahlreiche Ämter aus. Der Weinbau spielt neben der Lage der Stadt am Neusiedlersee, dem „Meer der Wiener“, auch heute eine herausragende Rolle für die Attraktivität von Rust als Tourismusziel.