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Reformationsstadt Speyer

Deutschland

Speyer

Wo die Evangelischen zu „Protestanten“ wurden

Die Bischofsstadt in der Pfalz hat nicht nur mit dem romanischen Kaiserdom ein UNESCO-Weltkulturerbe vorzuweisen, sondern zeichnet sich auch durch ein reiches jüdisches Erbe aus, von dem noch heute die Ruine der Synagoge aus dem 12. Jahrhundert und die ebenso alte Mikwe als ältestes jüdisches Ritualbad in Mitteleuropa zeugen. Mit den Städten Worms und Mainz zählte Speyer zu den jüdischen SchUM-Städten. Doch auch für den Verlauf der Reformation ist Speyer von herausragender Bedeutung.

Im Reformationszeitalter war Speyer ein Zentrum der Reichspolitik. Zahlreiche Reichstage wurden in Speyer abgehalten und ab 1527 war Speyer Sitz des Reichskammergerichts. Auf dem ersten Reichstag zu Speyer 1526 wurde den Ständen im Reich zugestanden bis zu einer Klärung auf einem zukünftigen Konzil den evangelischen Glauben in ihren Gebieten zu dulden. Auf dem zweiten Reichstag zu Speyer 1529 sollte dieses Zugeständnis zurückgenommen werden. Sechs evangelische Fürsten und Vertreter von 14 freien Städten protestierten dagegen und nahmen selbstbewusst für sich das Recht in Anspruch sich in Glaubensdingen gegen die Mehrheitsentscheidung zu wenden. In ihrer „Protestatio“ schreiben sie dazu: „In Sachen Gottes Ehre und unser Seelenheil und Seligkeit belangend muss ein jeglicher für sich selber vor Gott stehen und Rechenschaft geben.“

Auf dem zweiten Speyerer Reichstag 1529 bekannten sich zum ersten Mal politisch führende Männer öffentlich gegenüber der katholischen Reichstagsmehrheit zu ihrem evangelischen Glauben. Die politischen Verantwortungsträger nahmen damit das reformatorische Anliegen auf und stellten klar, dass in Glaubensfragen jedem Menschen und nicht nur kirchlichen Amtsträgern Urteilskraft zukommt – ein bedeutsamer Schritt auf dem langen Weg der Gewissens- und Religionsfreiheit.

An dieses weitreichende Ereignis erinnert in Speyer heute die neugotische Gedächtniskirche der Protestation. Zu ihrer Erbauung spendeten im ausgehenden 19. Jahrhundert evangelische Christen aus aller Welt. Der Kirchturm sollte den Speyrer Dom übertreffen und ist mit seinen 100 Metern der höchste Kirchturm der Pfalz. Im Eingang der Kirche befindet sich die Gedächtnishalle in deren sechs Ecken die Statuen der sechs protestierenden Fürsten die Statue Luthers umringen.

Darüber hinaus wird das Gedächtnis an die Reformation an vielen Orten in der Stadt wach gehalten. Die Evangelische Kirche der Pfalz, die ihren Sitz in Speyer hat, nennt sich in Erinnerung an die Protestatio „Protestantische Landeskirche“. Sie hat gemeinsam mit dem Stadtarchiv eine Smartphone-App konzipiert und entwickelt: Die App „Speyer – Stadt der Protestation“ ist als virtueller Stadtrundgang auf den Spuren der Reformation angelegt.

Die Gewissens- und Religionsfreiheit, die sich gerade im Miteinander der Kulturen zu bewähren hat, sie hat als universales Menschenrecht geistesgeschichtlich in der Speyerer Protestation von 1529 eine ihrer Wurzeln. Wir erkennen in diesem Grundrecht genuin protestantische Freiheitsoptionen wieder, die es heute auszubauen und immer wieder zu verteidigen gilt.

Hansjörg Eger

Oberbürgermeister, Stadt Speyer

Links

Stadt Speyer: www.speyer.de

Evangelische Kirche der Pfalz: www.evkirchpfalz.de

App: Protestation 1529: http://www.augias.net/index.php?ref=inc_8121.html