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Reformationsstadt Tartu

Estland

Tartu

Vorübergehender Aufruhr im hohen Norden Europas

Tartu ist die zweitgrößte Stadt in Estland und Sitz der Landesuniversität.
Das erstmals im Jahre 1030 als Burg erwähnte Tartu (deutsch Dorpat) stieg im 13. Jahrhundert als Bischofssitz zum Zentrum der regionalen Kirche auf. Als Hansestadt war Tartu auch Handels- und Handwerkszentrum und galt als die letzte westeuropäische Stadt an der Grenze zwischen den katholischen und den orthodoxen Gebieten. In Kärkna, unweit von Tartu, befand sich das Zisterzienserkloster Valkena.
Die Reformation gelangte 1524 nach Tartu, als in der Stadt der erste reformatorische Prediger Hermann Marsow seine Tätigkeit aufnahm. Er bekam von der Stadtregierung die Erlaubnis, in der Marienkirche zu predigen. Der Gegensatz zum örtlichen Bistum zwang Marsow bald, die Stadt zu verlassen. An seiner Stelle erschien jedoch der Laienprediger und prophetische Agitator Melchior Hoffmann, der von Beruf Kürschner war. Mit seinen in einfacher Sprache gehaltenen Reden gelang es ihm, die Botschaft der Reformation dem Volk zu vermitteln. Da es infolge seiner Reden zu Aufruhr und Konflikten kam, musste auch er die Stadt verlassen. Während der Unruhen wurden Kirchen, Altäre und Heiligenbilder zerstört. Hoffmann kehrte aber schon bald nach Tartu zurück, wodurch die Auseinandersetzungen auch während der Predigttätigkeit des aus Riga gekommenen reformatorischen Predigers Sylvester Tegetmeyer im Frühjahr 1525 in Tartu anhielten. Eine friedlichere Zeit begann erst im darauffolgenden Jahr, als der Rat beschloss, Hoffmann aus der Stadt zu weisen.
Im Bildungsbereich wurde nach der Reformation in der Stadt eine deutschsprachige Schule gegründet, ebenso wurde eine ordentliche Armenfürsorge eingerichtet. Das Luthertum wurde in Tartu in den 1530er Jahren eingeführt, als die Vertreter Tartus, Tallinns und Rigas sich auf eine einheitliche Kirchenordnung verständigten. 1554 gab der Kaplan der Johanniskirche Franz Witte eine im Tartuer Dialekt geschriebene estnische Übersetzung von Martin Luthers Katechismus heraus.
Ende des 16. Jahrhunderts geriet Tartu unter polnische Herrschaft und die Stadt wurde wieder katholisch. Es wurde ein Jesuitenkolleg gegründet, das bis ins 17. Jahrhundert betrieben wurde, als die Stadt unter schwedische Herrschaft kam und die lutherische Position gefestigt wurde. 1632 wurde in Tartu die Universität gegründet, zu deren Bestand seit ihrer Eröffnung eine Theologische Fakultät gehörte, an der Pastoren ausgebildet wurden. In der Nähe Tartus gründete Bengt Gottfried Forselius seine Schule, die für die örtliche Volksbildung eine große Bedeutung gewann.
Das Luthertum blieb die bestimmende Konfession auch im 18. Jahrhundert, als die estnischen Lande infolge des Nordischen Krieges ins russische Zarenreich eingegliedert wurden. Im Jahre 1802 wurde die Universität in Tartu wiedereröffnet, zu der auch eine deutschsprachige Theologische Fakultät gehörte. Diese evangelische Fakultät war auch für die Ausbildung der gesamten Pastorenschaft im Russischen Reich zuständig. An der Fakultät lernten und arbeiteten viele weltbekannte Theologen, wie Alexander von Oettingen, Theodosius Harnack, Adolf von Harnack, Reinhold Seeberg und andere. Auch heute ist Tartu ein Zentrum theologischer Forschung und innerhalb Estlands das zweitgrößte kirchliche Zentrum, in dem das lutherisches Bildungs- und Kulturerbe gepflegt wird. Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile der Altstadt zerstört, darunter auch die lutherische Johanniskirche aus dem 14. Jahrhundert, deren Wiederaufbau 2005 abgeschlossen wurde. In ihr befinden sich wertvolle Terrakotta-Skulpturen, die jede mit einem eigenen Gesicht versehen wurde. In Tartu mit seinem lebendigen kulturellen Leben finden besonders in den Kirchen oft Kunstausstellungen und Konzerte statt.
Priit Rohtmets, Unversität Tartu

Links

Stadt Tartu: www.tartu.ee
Tourismus: www.visittartu.com
Estnische Evangelisch-Lutherische Kirche: www.eelk.ee/en
Wayfarers’ Churches: www.teelistekirikud.ekn.ee